Cytotec – Kleine Tablette, großes Risiko

In Deutschland wird eine Tablette zur Geburtseinleitung eingesetzt, die nie für diesen Zweck zugelassen wurde.

Recherchen von BR und SZ zeigen, dass es zu schweren Komplikationen und sogar Tod für Mutter und Kind kommen kann.

Frauen ziehen vor Gericht

Wegen dieses Medikaments ziehen Frauen in Deutschland und Frankreich vor Gericht. Es gibt auch Todesfälle, die aufgrund von Komplikationen nach der Einnahme von Cytotec aufgetreten sind. Mehrere Babys verstarben in Deutschland und Frankreich.

Dies geht aus Gutachten und Urteilen hervor, die Reporterinnen des BR und der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) ausgewertet haben.

Cytotec – im Kreißsaal ohne Zulassung

Cytotec ist ein Magenschutzmittel und für diesen Zweck zugelassen. Dass es Kontraktionen der Gebärmutter auslöst und damit Wehen fördern kann, haben Ärzte zufällig entdeckt. Hoch dosiert kann Cytotec auch zur Abtreibung eingesetzt werden.

Obwohl das Präparat für die Geburtsmedizin nie zugelassen wurde, verwendet einer bisher unveröffentlichten Umfrage der Universität Lübeck zufolge, die Hälfte der deutschen Kliniken Cytotec zur Einleitung der Geburt. Diese Anwendung ist im Rahmen der ärztlichen Therapiefreiheit zulässig – im sogenannten „Off-Label-Use“.

In Hintergrundgesprächen sagen Ärzte, dass Cytotec bei der Geburtseinleitung wirksam sei und wegen der Tablettenform einfach zu verabreichen. Außerdem ist das Medikament sehr billig: Die Tablette kostet nicht einmal einen Euro, wohingegen zugelassene, alternative Medikamente mitunter im dreistelligen Bereich liegen.

Passen  Sie  bitte  gut  auf  sich  auf!

Behörden anderer Länder warnen vor Cytotec

Der Hersteller Searl, der heute zu Pfizer gehört, warnte bereits vor zwanzig Jahren vor den Gefahren des Medikaments in der Geburtshilfe. „Zu den schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen, die nach der Off-Label-Anwendung von Cytotec bei schwangeren Frauen gemeldet wurden, gehören der Tod der Mutter oder des Fötus, eine Überstimulation der Gebärmutter, Ruptur oder Perforation der Gebärmutter“…, hieß es damals in einem Schreiben an Ärzte.

Auch Behörden anderer Länder warnen explizit vor dem Einsatz von Cytotec in der Geburtshilfe. Die französische Gesundheitsbehörde ANSM veröffentlichte mehrere Warnbriefe. In einem heißt es, dass positive Risiko-Nutzen-Verhältnis von Cytotec zur Geburtseinleitung sei nicht bewiesen. Auch die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA warnt Frauen seit Jahren vor schwerwiegenden Komplikationen wie einem Gebärmutterriss oder dem Todesrisiko von Müttern und Babys.

Auffällig viele Geburtsschäden in Verbindung mit Cytotec

Die Berliner Fachanwältin für Medizinrecht Ruth Schulze-Zeu vertritt Mütter und Kinder, die einen Geburtsschaden erlitten haben. Viele Fälle seien ähnlich gelagert, sagt die Anwältin: Die Frauen bekämen Cytotec zur Einleitung der Wehen, es komme zu einer Überstimulation der Gebärmutter, einem Wehensturm und dann zu schwerwiegenden Komplikationen, die die Kliniken nicht mehr in den Griff bekämen.

„Etwa 40 Prozent der Fälle, die bei mir landen, sind Fälle, wo Cytotec zum Einsatz gekommen ist“, sagt Ruth Schulze-Zeu. Sie sei über diese Wiederholung verwundert.